Von Johannes Baumgart
Wer kennt es nicht: Man ist im Ausland unterwegs und begegnet zwangsweise anderen Urlaubern aus Deutschland. Aber anstatt sich zu freuen und ein Gespräch anzufangen scheuen die meisten Deutschen im Ausland den Kontakt zu ihren Landsleuten. Doch wieso ist das so? Wir haben uns dieser Frage einmal angenommen, eine nicht ganz ernstzunehmende Antwort hierauf gefunden und uns gefragt: Sind wir deutsche wirklich so?
Der Deutsche im Urlaub hat nicht unbedingt den besten Ruf. Unhöflich, penibel und schlecht angezogen sind noch die besten Attribute, mit denen wir im Ausland assoziiert werden. Stellt man sich den typischen Deutschen in den schönsten Wochen des Jahres vor, so zeichnet sich ein Bild vor dem inneren Auge, das man am besten schleunigst wieder vergessen möchte. Am Strand von Italien ist beispielsweise der etwas übergewichtige Mittfünfziger, der seinen behaarten Oberkörper dadurch besonders in Szene setzt, indem er ihn in etwas zu kleines und in die Jahre gekommenes Schießer-Unterhemd quetscht. Die Liege am Pool wird fachgerecht schon vor dem Frühstück mit dem verwaschenen Tommy Hilfiger Handtuch reserviert. Sind die Italiener doch selbst schuld, wenn sie erst um neun aus den Federn kommen. Im Restaurant beschwert er sich dann beim Kellner (natürlich auf Deutsch, die Bediensteten sollen sich gefälligst an das Publikum anpassen), dass die Pizza nicht so schmeckt wie bei seinem Stammitaliener in Mönchengladbach und beim Abendessen klebt er schon um 17:50 Uhr an der Scheibe des Speisesaals, um nach Saalöffnung um 18 Uhr auch auf jeden Fall der erste am Buffet zu sein. Nach zwei Weißbier an der Hotelbar (ein Glück, dass es auch hier Erdinger gibt) wird noch kurz über das viel zu weiche Brot gemeckert, bevor es dann, begleitet von den Tagesthemen (zumindest die Öffentlich-Rechtlichen sind im Urlaub ein Muss), ins Bett geht. Morgen früh geht es ja wieder bei Zeit aus den Federn, die Halbschattenliege zwischen Pool und Bar will schließlich verteidigt werden.
Doch auch außerhalb des Mittelmeerraums ist der Deutsche mittlerweile weit verbreitet. Gerade die USA sind das liebste Fernreiseziel und Millionen Deutsche reisen jedes Jahr nach New York, Florida oder Kalifornien. Während Florida eher ein Ziel für unsere älteren Landsleute ist („Das Wetter ist immer so schön und es sind nur sechs Stunden Zeitverschiebung“), zieht es die Jüngeren eher an die Westküste nach Kalifornien. Doch auch hier trifft man auf einen ganz bestimmten Typ. So sind es mittlerweile ausschließlich deutsche Touristen zwischen 15 und 35, die mit Klamotten von Abercrombie & Fitch durch die Gegend laufen und diese Art der Kleidung für den Inbegriff Kaliforniens halten. Was sie jedoch nicht wissen ist, dass kein Ami, der auch nur einen Hauch Coolness besitzt, jemals mit diesen Klamotten durch die Gegend laufen würde. Ein weiteres untrügliches Indiz ist der gemietete Ford Mustang (natürlich als Cabrio, damit man sich im Sommer auch einen ordentlichen Sonnenstich holt, man ist ja schließlich im Urlaub). Dieser Typ Auto wird mittlerweile eigentlich exklusiv für Mietwagenfirmen produziert und ist für viele Deutsche der Inbegriff des Amerikanischen Traums. Dass die Karre 20 Liter schluckt und man bei mehr als einem Koffer schon jahrelange Tetris-Erfahrung haben muss, um alles im Kofferraum unterzubringen, spielt keine Rolle. Man ist ja schließlich im Urlaub.
Wie es sich für das Land der Reiseweltmeister gehört sind unsere Landsleute mittlerweile auch in halb Asien unterwegs. Auch hier trifft man auf eine ganz besondere Spezies anderer Deutscher. Nennen wir sie mal Wiebke aus Hannover. Wiebke hat gerade ihr Abitur gemacht (natürlich mit einem Einser-Schnitt) und ist zusammen mit ihrer Freundin Frauke auf Asien-Rundreise. Natürlich mit dem Rucksack, das ist sowieso viel cooler als mit einem Koffer und man ist „total individuell und ungebunden“. Was sie einmal studieren will, das weiß Wiebke noch nicht so genau, „vielleicht etwas mit Tieren, oder Kindern, vielleicht auch mit beidem“. So wird die Reise eher zu einem Selbstfindungstrip und spätestens nach dem Thai-Kochkurs und der ersten Yogastunde auf Bali ist für Wiebke klar, dass sie Asiatische Kulturgeschichte studieren will. Jetzt muss sie nur noch eine Uni finden, die diesen exotischen Studiengang anbietet.
Der letzte Typ unserer kleinen Reise um die Welt ist der Flachland-Skifahrer. Die neuesten Hightech-Skiklamotten von Schöffel, die teuersten Skier von Atomic und eine lustige Eisbär-Skimütze mit angedeutetem Irokesenschnitt – das ist die Mindestausstattung, um die lange Fahrt von Paderborn nach Sölden anzutreten. Im Skigebiet angekommen besticht der Flachland-Tiroler durch seine unorthodoxe Art, Ski zu fahren. Aber was will man schon erwarten, wenn man erst mit 29 zum ersten Mal auf den Brettern stand. Doch das Schlimmste ist nicht einmal das Unvermögen auf der Skipiste sondern vielmehr die völlig fachfremden Kommentare, die man im 6er Sessellift anhören muss und wo es kein Entkommen gibt (die meisten Sessellifte verlaufen nämlich mehrere Meter über dem Boden, sodass ein spontaner Ausstieg mit erheblichen Schmerzen verbunden wäre). So wird über den „perfekten Pulverschnee“ gefachsimpelt, obwohl seit November ausschließlich Schneekanonen im Einsatz sind und die Namen der Skipisten und Hütten werden im perfekten Hochdeutsch ausgesprochen, sodass es kein Einheimischer jemals verstehen würde. Nein, Nordlichter und Skifahren, das passt einfach nicht zusammen. Da sind einem dann doch die Holländer lieber, die versteht man wenigstens nicht.
So oder so ähnlich kann man unsere Landsleute nahezu überall auf der Welt beobachten. Um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen, weshalb wir im Ausland lieber einen weiten Bogen um unsere Landsleute machen und eher verschämt auf den Boden schauen anstelle uns zu erkennen geben, drängt sich die Antwort auf, dass wir nicht wollen, dass man uns direkt den Spiegel vorhält. Vielleicht sind wir kein Stück besser, vielleicht erfüllen auch wir die typischen Klischees, vielleicht finden uns andere Deutsche im Ausland genau so schlimm wie wir sie. Daher gehen wir unseren Landsleuten besser aus dem Weg, unterhalten uns lieber mit Schweizern oder Amis und antworten, wenn man fragt, wo man herkommt, etwas schüchtern und fast schon schamhaft mit einem leisen „Tschöhrmänie“.